"Kamerton"-Premiere in Europa
Von Hugo Kröpelin

"Der Stimmton (auch Normalton) a1 (440 Hertz), festgelegt in London 1939", steht in Meyers Handlexikon zum Begriff "Kammerton". In einer älteren Ausgabe wird er definiert als "der Einstimmton a1 1885 in Wien auf 435 Doppelschwingungen (Hertz), 1939 in London auf 440 Hertz festgesetzt". Doch dafür hat sich wohl an diesem Abend in der TU-Mensa kaum einer der rund 500 mongolischen Gäste interessiert. Denn schon lange angekündigt hatte sich (auch über MongoleiOnline) aus der Heimat die Boy Group "Kamerton". Immer mehr Tische und Stühle wurden in den Saal gerückt, der, wie es schien, noch voller war als beim "Zagaan sar". Das überwiegend studentische Publikum war ungeduldig und deckte sich am Tresen mit Wein und "KhanBräu"-Pilsener ein. Erst nach einer knappen Stunde "Konserven-Tanzmusik" rollte eine stürmische Ovation durch den Saal, als die vier Burschen auf der Bühne erschienen. In den drei Dritteln des Konzerts, das erst nach Mitternacht zu Ende war, immer wieder kreischende Mädchen vor der Szene, sich wiegende Körper und rhythmischer Beifall für die a-capella-Sänger.

"Der Kammerton ist der sauberste Ton, so sauber wollen wir singen", erklärte Chef Bold den ungewöhnlichen Namen seines Quartetts. Neben dem 22-jährigen Tenor gehören dazu auch Mend-Amar (21, Bass), Erdenebat (23, Bariton) und Gan-Erdene (24, Tenor). In gut zwei Monaten können sie den 5. Geburtstag feiern – am 24. Juni 1995 hatten sie ihr "Khamtlag" angemeldet. "Geistige Paten" waren die US-amerikanischen "Boyz 2 Man". Deren Stil hatte vier mongolischen Teens am besten gefallen

Hinter den "Kamertönen" liegen viele Jahre an der Musikalischen Oberschule von Ulaanbaatar, einer Anstalt, die schon lange vor dem Abgang des Sozialismus Hunderte Talente als Berufskünstler auf Bühnen, Konzertpodien, in Orchester, Gruppen und die Selbständigkeit entließ hat. Dort haben die vier nicht nur singen gelernt – "alle zusammen spielen wir etwa ein Dutzend Instrumente", erzählte Mend-Amar, dazu gehören Geige, Cello, Klavier, Keyboard, Gitarre und Bassgitarre. Auch Werke von Bach, Schubert, Tschaikowski und vielen anderen ausländischen und einheimischen Komponisten haben sie im Repertoire.

In ihrer Heimat ist das "Kamerton"-Quartett schon lange eine Größe. Mit ihrem Lied "Amin nutag" (Liebe Heimat) stehen die Boys seit Ende vorigen Jahres an der Spitze der Charts. Drei CD’s und einige Kassetten sind auf dem Markt, im Programm der privaten TV-Station UBS haben sie jeden Freitag eine Stunde Sendezeit. Das ist auch ihr einziger Stammplatz, ansonsten ziehen sie von Saal zu Saal. Auch im japanischen Fukuoka und in Peking haben Bold & Co. schon die Teenies zu Jubelstürmen hingerissen. "Warum tretet Ihr in Berlin nur ein einziges Mal vor den eigenen Landsleute auf?" wollen wir wissen, als sich der künstliche Rauch auf der Mensabühne verzogen hatte. "Für größere Gastspiele ist allgemein ein halbes Jahr Vorbereitung nötig", sagte der group leader. Aus dem selben Grund konnten sie bisher Einladungen nach Russland nicht folgen. "Solange die Verträge ausgehandelt werden, wollen wir auch ein Lied in der Sprache des Publikums einstudieren, vor dem wir auftreten." Möglichkeiten für einen offiziellen Deutschland-Trip sollten in den wenigen Apriltagen sondiert werden. Das sollte auch gelten für Frankreich und Italien, wo sich "Kamerton" nach dem Konzert in Prag noch etwas umsehen wollte. Nach der Rückkehr in die Mongolei ist die erste Videoproduktion angesagt.

Bei allem bisherigen Erfolg – mit dem Zeugnis ihrer Spezialoberschule fühlen sie sich noch lange nicht fertig ausgebildet. Mend-Amar zum Beispiel will studieren, nicht Musik, sondern Medienwissenschaften. "Aber", so versicherten die vier am Rande des zweiten KhanBräu-Basketballturniers in Berlin, "zusammen bleiben wollen wir unbedingt." Man kann ihnen nur die Daumen drücken. Fragen wir doch in zwei, drei Jahren mal wieder nach.

Das Basketballturnier in der Sporthalle der FHTW übrigens gewann die Mannschaft des früheren Tischtennistrainers Bold – Sportlehrer Khurel musste die Trophäe wieder abgeben. Beteiligt haben sich immerhin neun Teams aus Berlin, sogar ein gutes Dutzend Mädchen warfen in gemischten Mannschaften fleißig Körbe.

Quelle: mit freundlicher Genehmigung von Hugo Kröpelin, News Stories Photos aus Berlin und Brandenburg
(Mai 2000)


   

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